Verbreitungsgebiete der potenziell krankheitsübertragenden Insekten in vier Bundesländern untersucht
Forschende der Goethe-Universität und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt haben erstmalig die räumlichen Verbreitungsmuster von Kriebelmücken in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen modelliert. In der im renommierten Fachjournal „Science of the Total Environment“ erschienenen Studie zeigt das Forschungsteam, dass in Deutschland Kriebelmücken in drei Gruppen eingeteilt werden können, die sich in ihren Verbreitungsmustern und ökologischen Ansprüchen unterscheiden. Die Forschenden warnen davor, dass insbesondere die medizinisch relevanten Arten durch den voranschreitenden globalen Klima- und Landnutzungswandel vermehrt auftreten könnten.
FRANKFURT. Sie
sind nur zwei bis sechs Millimeter groß, ihr Aussehen ähnelt dem harmloser
Stubenfliegen, doch ihre Stiche sind sehr unangenehm: Kriebelmücken
(Simuliidae). Die flugfähigen und überwiegend schwarzen Insekten gehören zu den
„Poolsaugern“: Weibliche Tiere raspeln mit scharfen „Zähnchen“ die Haut des
Wirts auf und nehmen anschließend den sich dort bildenden Blutstropfen zu sich.
„Durch die von den Mücken in die Wunde eingetragenen gerinnungshemmenden und
betäubenden Substanzen können die Stiche schwerwiegende allergische Reaktionen
auslösen, oder es kann zu bakteriellen Sekundärinfektionen kommen“, erklärt
Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima
Forschungszentrum, der Goethe-Universität Frankfurt, dem LOEWE-Zentrum für
Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) und dem Fraunhofer IME Gießen und
fährt fort: „Kriebelmücken sind zudem vektorkompetent, also in der Lage, durch
ihren Stich Infektionskrankheiten auslösende Erreger zu übertragen.“ Der
bekannteste durch Kriebelmücken übertragene Erreger ist der auf dem
afrikanischen Kontinent heimische Nematode Onchocerca volvulus, welcher die
sogenannte Onchozerkose („Flussblindheit“) auslösen kann. Nach Angaben der
Weltgesundheitsorganisation erlitten durch die Krankheit weltweit bereits über
1,15 Millionen Menschen einen Sehverlust.
Erstautorin Sarah Cunze von der Goethe-Universität Frankfurt erläutert: „Etwa 98 Prozent der insgesamt 2000 auf allen Kontinenten – mit Ausnahme der Antarktis – vorkommenden Kriebelmückenarten ernähren sich von Blut. Dies ist für die Entwicklung ihrer Eier unerlässlich. In Deutschland wurden bisher 57 Kriebelmückenarten beschrieben. Anhand von 1.526 Datensätzen aus Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen haben wir die zwölf häufigsten dort heimischen Arten in drei biogeografische Gruppen unterteilt: Arten, die an Gewässeroberläufen leben, über verschiedene Landschaften weit verbreitete Arten und Tieflandarten.“
Für die drei Gruppen sagen die Forschenden in ihrer
aktuellen Studie unterschiedliche Populationsentwicklungstrends unter dem
voranschreitenden globalen Klima- und Landnutzungswandel voraus: Die Gruppe der
Arten mit einem Verbreitungsschwerpunkt in den Gewässeroberläufen wird aufgrund
steigender Temperaturen und zunehmender chemischer Belastung der Gewässer als
potentiell gefährdet eingeschätzt. Arten der dritten Gruppe hingegen, zu denen
insbesondere auch veterinär- und humanmedizinisch relevante Kriebelmückenarten
zählen, zeichnen sich durch breitere Nischen und somit eine höhere Toleranz
gegenüber anthropogenen Veränderungen aus. Diese Arten könnten durch den
anthropogenen Wandel gefördert werden und ausgehend von ihrem bisherigen
Verbreitungsschwerpunkt in größeren Flüssen des Tieflandes in Zukunft häufiger
auftreten. Medizinisch relevante Arten zeichnen sich durch ein besonders
aggressives Stechverhalten gegenüber Säugetieren und Menschen aus und treten
häufig in sehr hoher Zahl auf. „Nachbarländer wie beispielsweise Polen
reagieren auf dieses Massenauftreten, welches durch einen synchronisierten
Schlupf der aquatisch lebenden Larven gefördert wird, damit, dass Vieh in
Gebieten mit bekanntermaßen hohem Vorkommen während der betreffenden Zeiträume
nur im Stall gehalten oder nur nachts auf die Weide gelassen wird. Zukünftige
höhere Temperaturen könnten zu verkürzten Entwicklungszeiten, zu mehr
Generationen pro Jahr und damit insgesamt zu einem häufigeren Auftreten von
Kriebelmücken führen“, fügt Cunze hinzu.
In weiteren Arbeiten möchte das Team seine Ergebnisse mit
empirischen Tests untermauern sowie durch Labortests klären, inwieweit
Simuliiden-Arten in der Lage sind, bestimmte Infektionskrankheiten auslösende
Erreger unter den derzeit in Europa herrschenden Bedingungen zu übertragen.
„Die aus den Ergebnissen unserer Studie abgeleiteten Entwicklungstrends für die
medizinisch relevanten Kriebelmückenarten sind ein Beispiel dafür, wie
vektorübertragene Infektionskrankheiten durch den globalen Wandel gefördert
werden können. Unsere Modellierungsansätze und -ergebnisse helfen uns dabei,
Monitoring und Maßnahmenprogramme für vektorkompetente Arten effizient zu
gestalten und Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen abzuleiten“, fasst
Klimpel zusammen.
Publikation:
Sarah Cunze, Jonas Jourdan, Sven Klimpel
(2024): Ecologically and medically important black flies of the genus Simulium:
Identification of biogeographical groups according to similar larval niches,
Science of The Total Environment, Volume 917, 2024, 170454, https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2
024.170454
Bilder zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/149310328
Bildtext:
(Bild
1)
Die
Art Simulium ornatum gehört zu den veterinär- und humanmedizinisch relevanten
Kriebelmücken. Foto: Dorian Dörge
(Bild
2)
Kriebelmücken
leben semiaquatisch: Im Ei-, Larven- und – wie hier zu sehen – im Puppenstadium
sind sie auf Fließgewässer angewiesen. Foto: Dorian Dörge
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Sven Klimpel
Senckenberg
Biodiversität und Klima Forschungszentrum Goethe-Universität Frankfurt
Tel.
069 798 42237
sven.klimpel@senckenberg.de