Neue Projekte am Frobenius-Institut an der Goethe-Universität befassen sich mit der kulturanthropologischen Dimension von Nahrungsressourcen
Reis, Weizen und Hirse stehen im Zentrum zweier neuer DFG-geförderter Forschungsprojekte am Frobenius-Institut für kulturanthropologische Forschung an der Goethe-Universität. Unter dem Dach des Sonderforschungsbereich (SFB) „RessourcenKulturen“ an der Universität Tübingen erforscht Institutsdirektor Prof. Dr. Roland Hardenberg die religiösen und (agrar-)ökonomischen Dimensionen von Getreide.
FRANKFURT. „Unser
tägliches Brot gib uns heute“ – so heißt es im Vaterunser. Ohne Zweifel haben
Grundnahrungsmittel wie Getreide für viele Menschen weltweit auch eine
religiöse Bedeutung. Damit befasst sich das Teilprojekt „RessourcenKulturen von
Reis und Weizen in Süd- und Zentralasien: Religiöse und (agrar-)ökonomische
Dimensionen von Getreide“ im Sonderforschungsbereich 1070. Der SFB ist in
Tübingen angesiedelt und wurde jetzt verlängert. Mit der Verlängerung einher
geht die Förderzusage für das Frankfurter Teilprojekt, das Institutsleiter
Prof. Dr. Roland Hardenberg beantragt hat. Kooperationspartner sind die
Universität Groningen in den Niederlanden und die Nazarbayev Universität in
Kasachstan.
Drei Fallstudien sollen die empirische Basis liefern: Eine widmet
sich dem Umgang mit Reis in West-Odisha in Indien, wo die Göttin Lakshmi mit
Reis identifiziert wird. Dort hat die so genannte Grüne Revolution mit
industriell erzeugtem Saatgut viel Schaden angerichtet. Um die heimischen
Reissorten zu stärken, werden auf diese religiösen Vorstellungen
zurückgegriffen. Eine zweite Fallstudie blickt auf das Hochland von Odisha, wo
eben diese Sorten noch kultiviert werden. Und die dritte Fallstudie wiederum
befasst sich mit dem Weizenanbau in Kasachstan, wo es einen spirituellen
Patron, Baba Deyqan für das Getreide gibt. Wie hat die industrielle
Landwirtschaft dieses religiöse Erbe beeinflusst? Und wie kann es im Sinne von
Nachhaltigkeit reaktiviert werden? Alle drei Fallstudien sollen Aufschluss
darüber geben, wie Getreide als religiöses Medium Akteure, Idee und Praktiken
zusammenbringen und Dynamiken in Gang setzen kann.
Hirse im Fokus eines weiteren DFG-Projekts
Getreidesorten und ihre kulturanthropologische Bedeutung sind
einer der Forschungsschwerpunkte von Roland Hardenberg, der früher
Stellvertretender Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Ressourcenkulturen“ in
Tübingen war. Seit mehreren Jahren bereits hat er auch Hirsekulturen in Indien
im Blick. Gemeinsam mit der Universität Groningen in den Niederlanden hat er
das „Groningen-Frankfurt Millets Network“ gegründet – Millets ist englisch für
Hirse. Nach dem Stand der Forschung ist Hirse eine bislang stark unterbewertete
Nahrungsquelle. Da sie in Asien und Afrika vor allem von ärmeren
Bevölkerungsschichten angebaut und verzehrt wird, gilt sie dort meist als eher
„primitives“ Essen. Dabei handelt es sich in Wahrheit um eine Art
Wundernahrung, die viele Ernährungsprobleme lösen könnte: Hirse ist nahrhaft,
enthält viele Vitamine und Mineralien, ist glutenfrei. Beim Anbau braucht Hirse
wenig Wasser, der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden ist nur begrenzt
notwendig. Sie wächst schnell und hat einen hohen Ertrag. Und trotz alledem hat
die Hirse dieses Imageproblem. Doch das ändert sich gerade.
„Die Regierungen haben erkannt, dass Hirsen helfen könnten, die
Millenniumsziele zu erreichen und den Hunger zurückzudrängen“, sagt Hardenberg.
In den Städten sei die Hirse, die man je nach Sorte zu unterschiedlichen
Produkten verarbeiten kann, bereits im Trend. Und vor kurzem wurde Hirse in das
staatliche Verteilungssystem (PDS) für die arme Bevölkerung aufgenommen, so
dass immer mehr Bauern nicht mehr nur für den eigenen Bedarf produzieren. Das
neue Projekt soll nun am Beispiel der Region Odisha im Osten Indiens
Erkenntnisse darüber erbringen, welche Auswirkungen diese Strategie auf
diejenigen hat, die Hirsesorten produzieren, verteilen und konsumieren. Eine
Fallstudie betrachtet die Situation in der Hauptstadt Bhubaneswar, wo Hirse in
immer mehr Geschäften und Restaurants angeboten wird. In einer zweiten geht es
um die Auswirkungen des staatlichen Verteilungssystems auf die Anbaupraxis, in
einer dritten um die Situation der Schwendbauern im Hochland, die als „Wächter
der Hirse“ bezeichnet werden, weil sie mit ihrer nachhaltigen Bewirtschaftung
die Vielfalt des Saatguts bewahren helfen. In der Zusammenschau sollen die drei
Fallstudien ein Bild ergeben davon, wie Menschen den Status von Hirse
definieren, welches Wissen sie darüber haben, wie sie mit den Pflanzen und
ihren Produkten umgehen, welche Technologien sie verwenden und welche
Verbindungen zwischen Hirsesorten und sozialen Identitäten bestehen. Dabei
kooperiert das Frobenius-Institut mit der Archäobotanik an der
Goethe-Universität und an der Universität Groningen.
Bilder zum Download: http://www.uni-frankfurt.de/101742425
Bildtext:
Bild
1: Ähre der "kleinen Hirse" (panicum sumatrense) im Hochland von
Odisha, Indien. Ein Forschungsprojekt am Frobenius-Institut befasst sich mit
der Bewertung und Verwendung lokaler Hirsesorten. (Foto: Roland Hardenberg)
Bild
2: Opfer für den Nassreis während der Ernterituale im indischen West-Odisha. (Foto:
Peter Berger)
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Roland Hardenberg
Direktor Frobenius-Institut an der Goethe-Universität
Telefon 069 798-33050
E-Mail: Hardenberg@em.uni-frankfurt.de
Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für
Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de