Wie neuartige Therapeutika Einblicke in Membrane von Bakterien geben
Ob Bakterien gegen Antibiotika resistent sind, entscheidet sich oft an ihrer Zellmembran. Dort können Antibiotika auf dem Weg ins Zellinnere blockiert oder von innen nach außen katapultiert werden. Makrozyklische Peptide, eine neuartige Klasse von Antibiotika, bioaktiver Zellgifte und Hemmstoffe (Inhibitoren), geben Aufschluss darüber, wie dieser Transportprozess an der Membran verläuft, wie er beeinflusst wird und wie er genutzt werden kann, um die Resistenz einer bösartig transformierten Zelle zu umgehen. Die Forschungsergebnisse, die hierzu unter der Leitung von Prof. Dr. Robert Tampé (Goethe-Universität) und von Prof. Dr. Hiroaki Suga (Universität Tokyo) erarbeitet wurden, werden in dem renommierten Journal eLife veröffentlicht (20-02-2021-RA-eLife-67732).
FRANKFURT. Es gibt zurzeit nur
wenige synthetische Wirkstoffe, die an die weit verbreiteten
Membrantransportproteine, den ATP-Bindungskassettentransportern (ABC), binden
und diese blockieren. Vier dieser makrozyklischen Peptide haben Wissenschaftler
der Goethe-Universität und der Universität von Tokyo als Modelle für eine
neuartige Generation von Wirkstoffen identifiziert. Dabei kamen Methoden zur
Anwendung, für die die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als
weltweit führend gelten.
Dank
Deep Sequencing, einem extrem schnellen und effizienten Ausleseverfahren,
konnten die gewünschten makrozyklischen Peptide aus einer Billionen Varianten
umfassenden “Bibliothek" makrozyklischer Peptide herausgefiltert werden – diese
Zahl übersteigt die Anzahl an Sternen in der Milchstraße. Dass überhaupt eine
solch enorme Anzahl vorliegt, hängt mit einem neuartigen Verfahren zusammen:
Durch Reprogrammierung des genetischen Codes können Aminosäuren gezielt als
Wirkstoffbauteile verwendet werden, die sonst in der Zelle nicht genutzt
werden. Vor allem durch ihre kreisförmige, geschlossene Struktur unterscheiden
sie sich von natürlichen Proteinen. “Weil diese Therapeutika zyklisch sind,
werden sie in der Zelle weniger schnell abgebaut", erklärt Robert Tampé,
Direktor des Instituts für Biochemie an der Goethe-Universität. “Außerdem sind
die ringförmigen Wirkstoffe in ihrer Raumstruktur eingeschränkt, sie binden
deshalb ohne große Umlagerungen an das Zielmolekül." Ein drittes
Unterscheidungsmerkmal macht die makrozyklischen Peptide ganz besonders
attraktiv für die Wissenschaftler:innen: Bei der Herstellung der Wirkstoffe
wird ihre Bauanleitung als “Barcode" mitgeliefert. Sucht man in einer Anzahl
von Billionen synthetisch erzeugter Therapeutika bestimmte heraus, führen sie
ihr “Namensetikett" gleichsam mit sich.
Welche
Rolle spielen nun die synthetischen Therapeutika für die Antibiotikaresistenz
in Bakterien oder die Multidrogenresistenz von Tumorzellen? Was geschieht, wenn
sie auf das ATP-getriebene Transportmolekül treffen, das für die Resistenz
verantwortlich ist, indem es die Chemotherapeutika aus der Zelle befördert?
Kurz zusammengefasst: Die Wirkstoffe blockieren den Transporter, indem sie an
ihn binden. Dies kann am Anfang oder am Ende eines Transportprozesses
geschehen, wenn sich der Transporter im Ruhzustand befindet. Da die
Wissenschaftler:innen den Transportprozess aber verlangsamen können, so dass er
wie in Zeitlupe abläuft, können die Wirkstoffe identifiziert werden, die mitten
im Transportprozess “einsteigen" und das Membranprotein in seiner jeweiligen
Position “festhalten“. So erhalten die Forscher:innen einen Einblick in die
Choreographie des Transportprozesses wie durch die Bilder eines
Filmstreifens.
Diese
Einblicke haben in der Wissenschaft bereits zu einem “Paradigmenwechsel"
geführt, wie Tampé erklärt: „Bislang sind wir davon ausgegangen, dass die
ATP-Hydrolyse (Anm: ein Energie freisetzender Spaltprozess) die Energie für den
Transport durch die Membran liefert. Dies ist aber nur indirekt der Fall. Es
ist das Ereignis der Bindung des ATP-Moleküls, das Substanzen aus der Zelle
stößt. Die Energie der Hydrolyse wird dagegen dafür eingesetzt, den
ABC-Transporter wieder in seinen Ausgangszustand zu versetzen." Diese und
andere Einblicke in das Membrangeschehen, so die Überzeugung der Arbeitsgruppen
an der Goethe-Universität und der Universität Tokyo, zeigen Wege auf, wie
zukünftige Arzneimittel entwickelt werden können.
Die Grundlagenforschung zu zellulären Membranen und
Membranproteinen hat in Frankfurt bereits eine lange Tradition. Robert Tampé
klärte wesentliche Mechanismen von ATP-getriebenen Transportproteinen und
zellulären Maschinerien der adaptiven Immunantwort und Qualitätskontrolle, die
gemeinsam mit der neuen Publikation Ansätze für die angewandte
Arzneimittelforschung liefern können. Nachdem Tampé Sprecher des Ende 2020
ausgelaufenen Sonderforschungsbereichs »Transport und Kommunikation über
biologische Membranen« (SFB 807) war, befindet sich das Konzept für ein neues
Forschungszentrum bereits in der Entwicklung. Dabei sollen hochdynamische
Prozesse in Bezug auf Proteinnetzwerke und Maschinerien in zellulären Membranen
erforscht werden. Langfristig sollen die Forschungsergebnisse neue
Möglichkeiten für die Therapie von molekularen Krankheiten, Infektionen und
Krebs aufzeigen.
Publikation:
Erich Stefan, Richard Obexer, Susanne Hofmann, Khanh Vu Huu,
Yichao Huang und Nina Morgner, zudem federführend Hiroaki Suga und Robert
Tampé: „De novo macrocyclic peptides dissect energy coupling of a heterodimeric
ABC transporter by multimode allosteric inhibition“ (20-02-2021-RA-eLife-67732)
Stefan,
Hofmann und Tampé forschen am Institut für Biochemie der Goethe-Universität, Vu
Huu und Morgner am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der
Goethe-Universität und Obexer, Huang und Suga am Department of Chemistry,
University of Tokyo.
Bilder zum Download: www.uni-frankfurt.de/101026220
(Grafik:
Robert Tampé, Inst. f. Biochemie, Biozentrum, Goethe-Universität Frankfurt)
Bildtext: Synthetische Therapeutika für die Antibiotikaresistenz in
Bakterien oder die Multidrogenresistenz von Tumorzellen können das
ATP-getriebene Transportmolekül blockieren, das Chemotherapeutika aus
der Zelle befördert
Weitere Informationen
Prof. Dr. Robert Tampé
Institut für Biochemie, Biozentrum
Goethe-Universität Frankfurt
tampe@em.uni-frankfurt.de
Prof. Dr. Hiroaki Suga
Department of Chemistry
Graduate School of Science
The University of Tokyo
hsuga@chem.s.u-tokyo.ac.jp
Redaktion: Pia Barth, Referentin
für Öffentlichkeitsarbeit, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon
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