Analyse anhand von Bohrkernen zeigt verlangsamtes Wachstum in jüngerer Erdgeschichte
Welche Bedeutung bestimmte Korallenarten für die Riffbildung während der vergangenen 9.000 Jahre hatten, hat jetzt ein Team von Wissenschaftlern der Goethe-Universität Frankfurt sowie Partnern aus Deutschland, den USA und Kanada analysiert. Dazu untersuchten und datierten die Forscher Korallenskelette in Bohrkernen, die den Riffen in Belize entnommen worden waren. Die Ergebnisse zeigen nicht nur, dass bestimmte Korallenarten in der Vergangenheit aufgrund von Klimaveränderungen für längere Zeiträume verschwanden. Die Studie identifiziert zudem eine weitere klimabedingte Gefahr: Neben der Erwärmung und Versauerung der Ozeane bedroht auch der steigende Meeresspiegel die Korallenriffe, deren Wachstumsraten mit der höheren Anstiegsrate nicht mithalten können.
FRANKFURT.
Tropische Korallenriffe könnten zu den ersten Opfern des Klimawandels gehören.
Der Lebensraum dieser Zentren der marinen Vielfalt wird nicht nur durch die
globale Erwärmung, die Versauerung der Ozeane, die Verschlechterung der
Wasserqualität sowie durch Krankheiten von riffbildenden Organismen bedroht.
Zudem sind die Riffe nicht in der Lage, in ihrem Wachstum mit dem
prognostizierten Meeresspiegelanstieg Schritt zu halten. Zu diesem Schluss
kommt ein interdisziplinäres Team aus Wissenschaftlern des Instituts für
Geowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt, der Firma ReefTech Inc.,
des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung, des Department of Earth and
Environmental Sciences der Universität Ottawa und des GSI Helmholtzzentrum für
Schwerionenforschung. Ihre Ergebnisse basieren auf der Untersuchung von 22
Bohrkernen, die aus den Atollen und dem Barriereriff in Belize, dem größten
Riffsystem im Atlantik, entnommen wurden, und anhand derer die
Korallenwachstumsraten der vergangenen 9.000 Jahre, also in der aktuellen
geologischen Epoche des Holozäns, bestimmt und datiert wurden.
Zusammen mit anderen Wissenschaftlern analysierte Prof. Eberhard
Gischler, Leiter der Arbeitsgruppe Biosedimentologie am Institut für
Geowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt, die Proben, die er und Dr.
J. Harold Hudson aus Miami zwischen 1995 und 2002 entnommen hatten. Durch die
Untersuchung der Bohrkerne – die zusammen 215 Meter lang sind – „konnten wir
die Umweltbedingungen im Holozän detailliert und systematisch rekonstruieren.
Auf diese Weise konnten wir bestimmen, ob der gegenwärtige Rückgang der
Korallen und Korallenriffe tatsächlich beispiellos ist“, so Gischler. Insgesamt
datierten die Wissenschaftler 127 Korallenfragmente mithilfe von
Radioisotopenmethoden und werteten die Veränderungen der Korallenfauna in der
Zeit mithilfe statistischer Tests aus, basierend auf mehr als 1100 fossilen
Korallen. Durch die Radioisotopen-Datierung kann das Alter eines Materials
anhand der Zerfallsraten der in der Probe enthaltenen radioaktiven Stoffe
bestimmt werden.
Danach ermittelte das Team die räumlichen Abstände zwischen den
Korallen in den Bohrkernen und bestimmte auf diese Weise ihre Wachstumsraten.
Gischler: „Unsere Daten zeigen insgesamt einen Rückgang der
Korallenwachstumsraten in Belize während des Holozäns. Mit 3,36 Millimetern pro
Jahr liegen die durchschnittlichen Wachstumsraten der Riffränder zwar gleichauf
mit denen in anderen Regionen des westlichen Atlantiks, sind allerdings etwas
niedriger als im Indopazifik.“ Dies habe Auswirkungen auf die Zukunft vor allem
tropischer Inselstaaten, die auf Korallenriffen basieren oder von ihnen
geschützt werden, und muss auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel betrachtet
werden, erklärt Gischler. „Die Wachstumsraten liegen am unteren Ende der
Prognosen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten
Nationen für den Anstieg des Meeresspiegels bis 2100.“
Die Forschungsergebnisse bestätigen den drastischen Rückgang
lebender Korallen in der Karibik, wo viele Riffe inzwischen von Algen und unkrautartig
wachsenden, generalistischen Korallenarten dominiert werden. Mit Blick auf die
Entwicklung in der Vergangenheit stellten Gischler und seine Kollegen fest,
dass stressresistente, riffbildende Korallen in den älteren Bohrkernabschnitten
vorherrschen. „Am unteren Ende unserer Bohrkerne, das direkt über älterem,
pleistozänem Riffkalk liegt, sind Pseudodiploria-Gehirnkorallen und
Orbicella-Sternkorallen am häufigsten anzufinden – ein Indikator dafür, dass
Mitglieder der Familie stresstoleranter Arten eindeutig dominieren“, erklärt
Gischler. Sobald der Riffsockel jedoch vollständig überflutet war und sich die
Umweltbedingungen verbesserten, nahm die Häufigkeit dieser Korallenarten ab.
Der Wechsel von Steinkorallen zu Algen und von gewöhnlichen
Riffbauern zu unkrautartig wachsenden Arten unterstreicht laut den Autoren die
zunehmende Bedeutung der Fertilität für die Korallengemeinschaft.
Offensichtlich hilft ihnen genau diese Eigenschaft dabei, mit zunehmendem
Umweltstress fertig zu werden.
Wachstumslücken im Vor-Anthropozän
Ein weiteres interessantes Detail, das die Bohrkerne zutage
förderten, sind drei mehrere Hundert Jahre lange Lücken im Fossilbericht der
schnell wachsenden, kompetitiven „Elchhornkoralle“ Acropora palmata in
Belize – vor etwa 2.000, 4.000 sowie 5.500-6.000 Jahren. Die erste und die
letzte stimmen mit den beiden Acropora-Lücken auf den Jungferninseln und in der
Karibik überein und deuten wahrscheinlich auf Perioden höherer Temperaturen und
vermehrter Sturmaktivität sowie auf eine geringere Nährstoffzufuhr als mögliche
Ursachen hin, so die Forscher.
Im Unterschied dazu überschneidet sich die Lücke von vor rund
4.000 Jahren mit einem möglichen Massensterben weidender Stachelhäuter in der
Region, was zu einem Anstieg des Vorkommens von Algen geführt haben könnte.
Eine weitere mögliche Ursache für das Massensterben, die von den Autoren
aufgeführt wird, ist ein möglicher Zusammenhang mit dem so genannten 4.2
k-Ereignis, einer Klimaveränderung, von der man annimmt, dass sie zu einer
Dürre in den mittleren Breiten Nordamerikas und einer erhöhten
Meeresoberflächentemperatur in den tropischen Ozeanen geführt hat.
Publikation: Eberhard
Gischler, J. Harold Hudson, Anton Eisenhauer, Soran Parang & Michael
Deveaux: 9000 years of change in coral community structure and accretion in
Belize reefs, western Atlantic. Scientific Reports 13:11349 (2023), https://doi.org/10.1038/s41598-023-38118-5
Bilder
zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/143126023
Bildtext:
Foto 1: Das
obere UW-Foto zeigt einen Korallenriffsaum in Belize mit schnell wachsenden,
lebenden verzweigten Acropora- (Elchhorn-) und plattenförmigen Millepora-
(Feuer-) Korallen. Das untere UW-Foto zeigt abgebrochene Äste abgestorbener
Acropora-Korallen, die von unkrautartig wachsenden Hügel- und Fingerkorallen
(Porites) sowie Algen überwuchert werden. Foto: Eberhard Gischler
Foto 2: Eberhard Gischler (links; an der Winde), Harold Hudson (Mitte;
auf dem Stativ) und der belizische Assistent Eric Vasquez bei der Entnahme von
Bohrkernen mit einem hydraulischen Rotationsbohrer auf dem Riffdach des
Barriereriffs von Belize. Foto: G. Meyer
Redaktion: Leonie Schultens, Internationales, Büro für PR &
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