Forschende der Goethe-Universität klären einen entscheidenden Teil im RNA-Bindemechanismus vom Nucleocapsidprotein (N) auf – SARS-CoV-2 nutzt wahrscheinlich menschliche Körpertemperatur für Vermehrungsstrategie
SARS-CoV-2-Viren gelingt es, menschliche Zellen mit einem Minimum eigener Proteine zu kapern und als Brutkästen für ihre Nachkommen zu nutzen. Eines der viralen Multifunktionsproteine ist das Nucleocapsidprotein (N), das in Vervielfältigung und Verpackung eine zentrale Rolle spielt. Forschende der Goethe-Universität haben jetzt herausgefunden, wie N sowohl virale RNA allgemein als mithilfe von „Fingern“ auch spezifische RNA-Positionen erkennt. Die spezifische Erkennung ist an die erhöhte Temperatur der Wirtszelle angepasst. Möglicherweise wird Fieber, das wir im Laufe einer Infektion entwickeln, von SARS-CoV-2 zur Umschaltung von Virus-Vervielfältigung auf Virus-Freisetzung genutzt.
FRANKFURT.
Unmittelbar nach einer Infektion einer Zelle in Rachen oder Lunge arbeitet das
SARS-CoV-2 Virus mit Hochdruck an seiner Vervielfältigung. Dabei nutzt es die
Stoffwechselwege der menschlichen Zelle, um seine Proteine herstellen und sein
Erbgut (das RNA-Genom) kopieren zu lassen. Schließlich wird das RNA-Genom sehr
kompakt in neue Viruspartikel verpackt, die aus der Zelle freigesetzt werden,
um weitere Zellen zu infizieren.
Für die schnelle und effiziente Vermehrung ist besonders ein
Virusprotein wichtig, das so genannte Nucleocapsid-Protein (N). Im Virus
umhüllt es das RNA-Genom und sorgt dafür, dass die sehr lange RNA kompakt
aufgewickelt ist. Beim Eindringen in die Zelle löst sich N vom RNA-Genom und
übernimmt jetzt im Laufe der viralen Vermehrung eine ganze Reihe von
Funktionen: Wenn die RNA in Virusproteine übersetzt wird, schützt N die RNA
davor, dass der Virus-Abwehrmechanismus der Zelle („RNA-Interferenz“) sie
zerstört. N wirkt auch direkt bei der Umschreibung in Virusproteine mit, und
schließlich sammelt es die vervielfältigte virale RNA in der Zelle ein und
wickelte sie auf, damit neue Viruspartikel gebildet werden können.
Wie ein Schweizer Taschenmesser verfügt N für all diese Funktionen
über mehrere Werkzeuge: Zum einen muss N zwischen zellulärer und virale RNA
unterscheiden und letztere spiralförmig aufwickeln können. Daher ist N in der
Lage, verhältnismäßig unspezifisch virale RNA zu binden. Um beispielsweise die
Umschreibung der viralen RNA in Virusproteine (Translation) zu steuern, muss N
jedoch ebenso in der Lage sein, bestimmte Positionen auf der Virus-RNA zu
erkennen, so genannte RNA-Motive.
Wie diese spezifische Bindung durch eines der Werkzeuge von N, der
sogenannten N-terminalen Domäne (NTD), genau funktioniert, haben jetzt
Wissenschaftler:innen um Dr. Sophie Korn und Dr. Andreas Schlundt vom Institut
für Molekulare Biowissenschaften und dem Zentrum für biomolekulare magnetische
Resonanzspektroskopie (BMRZ) der Goethe-Universität aufgeklärt. Ihre Ergebnisse
bauen auf Vorarbeiten des während der Pandemie in Frankfurt gegründeten
Covid19-NMR-Konsortiums auf. In der vorliegenden Arbeit nutzten Korn und ihre
Kollegen die Kernspinresonanz- oder NMR-Spektroskopie, bei der die Atome des
NTD-Werkzeugs und der gebundenen RNA einem starken Magnetfeld ausgesetzt werden
und so etwas über ihre räumliche Anordnung bei der Bindung verraten. Außerdem
gab ein spezielles Röntgenstrahlverfahren (Kleinwinkel-Röntgenstreuung, SAXS)
präzise Informationen über die Stabilität der neu gebildeten Molekülkomplexe.
Das Ergebnis: Sowohl die Abfolge der RNA-Bausteine (Basen) ist für
eine Bindung wichtig als auch die räumliche Faltung der RNA. Dabei bindet der
positiv geladene Teil der NTD recht unspezifisch die negativ geladene RNA.
Mehrere „Finger“ der NTD tasten danach die RNA nach Motiven ab, mit denen die
NTD stabilere Bindungen eingehen kann. Was den Forscher:innen auffiel: Die
Motive, die die NTD bevorzugt, liegen bei der Körpertemperatur in Lungenzellen
in einer bestimmten räumlichen Faltung vor, die bereits bei wenigen Grad
Temperaturerhöhung verloren geht. Dadurch werden diese nicht nur als eigene
Ziel-Motive identifiziert, sondern auch deutlich stärker gebunden, was zur
Ausübung neuer Funktionen der NTD führen könnte.
Sophie Korn meint: „Unsere Daten sind zwar nur ein erster Schritt,
aber sie lassen die Vermutung zu, dass das Virus auf diese Weise zwischen
Vervielfältigung und Verpackung in neue Viruspartikel umschalten könnte: Bei
normaler Körpertemperatur werden in der Zelle vorwiegend Bausteine für neue
Viren hergestellt. Bekommen wir im Verlauf der Infektion Fieber, weil das Virus
von unserem Immunsystem erkannt und bekämpft wird, so schaltet das Virus
möglicherweise als direkte Folge auf die Vervielfältigung um und sorgt dafür,
dass die virale RNA vermehrt verpackt und in Form neuer Viruspartikel
freigesetzt wird. Den Schalter liefern die Virus-RNA-Motive selbst, betätigt
wird der Schalter vom Abwehrsystem des Menschen.“
Andreas Schlundt ist überzeugt: „Mit der Kombination von
NMR-Spektroskopie und SAXS haben wir eine Untersuchungsmethode etabliert, mit
der wir rasch einschätzen können, welche Bindungspartner N bevorzugt, was sich
wahrscheinlich auf andere virale Proteine übertragen lässt. Dies wird sowohl
bei der Erforschung neu auftretender Viren und Virusvarianten von Nutzen sein
als auch bei der Entwicklung antiviraler Medikamente, die sehr gezielt das
Virus ausschalten und damit die Nebenwirkungen minimieren.“
Hintergrundinformationen:
Das COVID19-NMR-Konsortium
https://covid19-nmr.de/
Von Fließbandforschung und Einzelkämpfern (2022)
https://aktuelles.uni-frankfurt.de/forschung/von-fliessbandforschung-und-einzelkaempfern/
Potenzielle SARS-CoV2-Wirkstoffe könnten direkt das RNA-Erbgut des
Virus angreifen (2021)
https://aktuelles.uni-frankfurt.de/forschung/sars-cov-2-achillesfersen-im-viren-erbgut/
Faltung von SARS-CoV2-Genom zeigt Angriffspunkte für Medikamente
(2020)
https://aktuelles.uni-frankfurt.de/forschung/faltung-von-sars-cov2-genom-zeigt-angriffspunkte-fuer-medikamente-auch-vorbereitung-auf-sars-cov3/
Publikation: Sophie
Marianne Korn, Karthikeyan Dhamotharan, Cy M. Jeffries, Andreas Schlundt: The
preference signature of the SARS-CoV-2 Nucleocapsid NTD for its 5'-genomic RNA
elements. Nature Communications (2023) https://doi.org/10.1038/s41467-023-38882-y
Bilder zum
Download:
https://www.uni-frankfurt.de/141582190
Bildtext: Die Finger des Protein N von SARS-CoV2: Wie Finger tasten
Ausstülpungen der N-terminalen Domäne des viralen Protein N nach RNA (schwarz)
und stellen bei bestimmten Motiven der Virus-RNA eine feste Bindung her. Bild: Andreas Schlundt, Goethe-Universität
Weitere Informationen
Dr. Andreas Schlundt
Emmy Noether Junior Group Leader
Institute for Molecular Biosciences and
BMRZ
Goethe University Frankfurt
schlundt@bio.uni-frankfurt.de
Tel. +49 69 798 29699
Dr. Sophie Korn
Group of Dr. Andreas Schlundt
Institute for Molecular Biosciences and
BMRZ
Goethe
University Frankfurt
Tel.
+49 69 798 29698
korn@bio.uni-frankfurt.de
Twitter: @goetheuni @lab_nmr @Sophie_Korn
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für
Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax
069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de